Was bleibt
Ich habe während des Wahlkampfs in den letzten Wochen und Monaten unheimlich viele wundervolle Genossinnen und Genossen kennenlernen dürfen, die mich mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit beeindruckt haben. Ihnen und meinem Team danke ich für die letzten Wochen und Monate für ihre enorme Arbeit. Das enttäuschende Ergebnis der Partei liegt nicht an euch und schon gar nicht am fehlenden Engagement.
Ebenso möchte ich allen Spenderinnen und Spendern danken. Insgesamt sind knapp 5.000 Euro zusammengekommen. Damit haben wir hauptsächlich Plakate für ganz Sachsen-Anhalt in allen Kreisverbänden finanziert, wir konnten Online-Anzeigen schalten und Wahlkampfveranstaltungen finanziell unterstützen. Ihr habt dabei mitgeholfen, dass die Linke auch in der Fläche präsent war und dafür danke ich euch sehr.
Auch wenn es für den Einzug in das Europaparlament nicht gereicht hat, gibt es in meinem eignen Wahlkampf nichts zu bereuen. Die letzten Monate waren ein wilder Ritt, den ich nicht missen möchte. Wir haben in einem komplett ehrenamtlichen arbeitenden Team alles versucht, um die drängenden Themen des Ostens, die Deindustralisierung, die steigenden Lebenshaltungskosten und die Angst vor der Zukunft ins Zentrum zu rücken.
Wir haben Betriebe und Beschäftigte besucht – dort, wo es gut läuft oder wo ein Betrieb geschlossen oder seit Wochen gestreikt wird. Wir haben in unserem Wahlkampf Menschen besucht, die sich vor Ort für den Erhalt eines Krankenhauses einsetzen oder Unterschriften für kostenloses Mittagessen sammeln. Wir wollten damit zeigen, dass die Partei die Linke mehr ist als ein zerstrittener Haufen, der dem Abgrund entgegen segelt - und ich bin davon überzeugt, dass uns das auch gelungen ist.
Gleichwohl konnten wir den bundes- und europaweiten Trend, die Abspaltung der Partei und die Abwärtsspirale, die damit einher ging, natürlich nicht aufhalten. Die Linke erhält mit 2,7 Prozen ein niederschmetterndes Ergebnis, mit dem niemand zufrieden sein kann. Es fällt noch hinter unsere Erwartungen zurück. Wir müssen in den kommenden Wochen sehr genau auswerten, was die Gründe hierfür sind. Hieran werde ich mich mit meinem Team und den gesammelten Erfahrungen beteiligen.
Martin Schirdewan, Carola Rackete und Özlem Demirel, die in der kommenden Fraktion vertreten sein werden, möchte ich herzlich gratulieren. Özlem möchte ich im Besonderen zu ihrem knapp gewonnen Mandat gratulieren: die Fraktion wird sie brauchen. Gleichzeitig bedauere ich, dass es für Gerhard Trabert nicht gereicht hat, der als »Arzt der Armen« und seinen langjährigen Erfahrungen einen wichtigen Beitrag im Parlament für die Linke im Ganzen hätte leisten können. Dort, wo wir gemeinsam Wahlkampf gemacht haben, waren die Menschen stets begeistert und es ist schade, dass wir das nicht in die Breite transportieren konnten.
Rechtsruck in Europa – und im Osten
Nach der Wahl ist der befürchtete Rechtsruck in ganz Europa Realität, auch wenn er nicht so dramatisch ausgefallen ist, wie befürchtet. Rechte und Konservative gehen leicht gestärkt aus den Wahlen hervor, besonders dramatisch ist hier der Sieg der französischen Rechten, der nun in Neuwahlen in Frankreich mündet. Kippt dieses europäische Kernland nach rechts, erleben wir eine weitere Erschütterung für ganz Europa.
Die linken Parteien sind mit wenigen Ausnahmen in Skandinavien und Belgien geschwächt oder gespalten aus den Wahlen hervorgegangen. Die Linksfraktion wird kleiner sein, obwohl die Herausforderungen im kommenden Parlament ungleich größer werden. Es sieht aber immerhin danach aus, dass es weiterhin eine Linksfraktion im Europäischen Parlament geben wird. Wir wussten vorher um die schwierige Situation der Europäischen Linken, und waren nicht in der Lage, diesen Trend zu stoppen oder eine gemeinsame linke, wirksame europäische Kampagne zu starten. So blieb es im wesentlichen ein Wahlkampf in den einzelnen Nationen, was den Zeitgeist spiegelt, aber eine Niederlage für den Internationalismus ist.
Dass die Erfolge der rechten AfD in Deutschland nicht so stark ausgefallen sind wie erwartet, kann angesichts von Spionageaffären und einem menschenverachtenden Spitzenkandidaten keine Beruhigung sein. Eine starke CDU/CSU ist keine Brandmauer. Ihre Kandidatin von der Leyen hat bereits eine Zusammenarbeit mit der Postfaschistin Giorgia Meloni in Italien oder den Rechtsextremen von Vox in Spanien angedeutet.
Das ist der Anfang einer neuen Normalität in Europa. Deutschland als Hegemon wird weiter wichtige Fortschritte blockieren. Die EU-Wahl ist in dieser Hinsicht auch ein Vorbote auf die Landtagswahlen, in denen weitere Kipppunkte für die Demokratie drohen.
Besonders deutlich waren die Erfolge der AfD im Osten. Dort gibt es sowohl bei den Europa- als auch den Kommunalwahlergebnissen teils massive Zugewinne der Rechten, auch in Sachsen-Anhalt. Hier hat es Achtungserfolge unserer Genossinnen und Genossen gegeben, die dem Bundestrend trotzen konnten. Dennoch sind viele Fraktionen in den Kommunalparlamenten geschwächt. Ihre Arbeit wird in den kommenden Jahren schwieriger werden.
Ich glaube, dass wir in unserer Kampagne mit dem Motto »Streiten für den Osten« einen Punkt getroffen haben, der aber nicht ausgereicht hat, um die substanziellen Schwächen des Wahlkampfs auszugleichen.
Die Linke zu leise und mutlos
Der Partei Die Linke ist es in einem weitgehend demobilisierten Wahlkampf nicht gelungen, die Selbstverständlichkeit von Militarisierung und Kürzungspolitik in der EU ausreichend anzuprangern und alternative Lösungsansätze hierzu ausreichend stark zu machen. Statt uns auf diese Punkte zu konzentrieren, war das Themenfeld zu breit – wenn die einzelnen Kandidierenden auch glaubwürdig in ihren Themen auftraten. Auf der Straße war daher oft zu hören, man wisse nicht mehr, wofür die Linke eigentlich steht.
Wir hätten es der CDU nicht durchgehen lassen dürfen, dass sie die Dreistigkeit besitzt, Ursula von der Leyen wieder als Kommissionspräsidentin aufstellen zu wollen. Wir hätten den Grünen ihre Doppelmoral in Fragen von Migration und Außenpolitik nicht durchgehen lassen dürfen. Die SPD hätte sich nicht mit Olaf Scholz als Respekt-Kanzler schmücken dürfen, während Deutschland nicht einmal die Mindestlohnrichtlinie umsetzt.
Wir waren zu leise und zu mutlos in einer Zeit, in der wir nach der Abspaltung den Befreiungsschlag gesucht haben. In der Klemme zwischen einer Ein-Frauen-Partei, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht und an die wir im Prozess der Abspaltung viele fähige Genossinnen und Genossen verloren haben, und vielen Kleinparteien, die im EU-Wahlkampf weniger zu verlieren hatten als wir, sind wir zerrieben worden. Mit der Zuspitzung im Ukraine-Krieg wie im Gazastreifen gingen wir zu zögerlich um, aus der berechtigten Angst, etwas Falsches zu sagen.
Wir waren dort nicht mehr wahrnehmbar, wo man auf uns zählte, und wo andere Parteien lauter waren.
Wie die Wahlananalysen zeigen, konnten wir nur 60.000 Wählerinnen und Wähler der Grünen gewinnen, während wir 390.000 Menschen an das Nichtwähler-Spektrum und ganze 450.000 Menschen an das BSW verloren haben. Die Zahlen stehen in keinem Verhältnis und zeigen deutlich, dass eine Strategie, die darauf beruht, progressive Wähler:innen von SPD und Grünen zu gewinnen, substanziell nicht ausreicht, um die Verluste auf der anderen Seite auszugleichen. Davon abgesehen, dass ich diese Strategie für politisch falsch halte, ist sie zumindest bei den Europawahlen, wo es noch am einfachsten ist, kosmopolitische Milieus für sich zu erreichen, auch empirisch nachweisbar gescheitert. Die Öffnung hin zur Zivilgesellschaft reicht offenbar nicht aus, um die 5-Prozent-Hürde zu erreichen.
Auch die Tatsache, dass rund 34 Prozent der Stimmenanteile von Arbeitern an die AfD gehen, während es nur 3 Prozent bei der Linken sind, ist dramatisch. Auch hier werden wir uns fragen müssen, wen wir bei kommenden Wahlen eigentlich erreichen und vertreten wollen. Als Mitglied des Sprecher:innenrats der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft ist es mir ein Anliegen, dieses genauer zu analysieren und Formen zu finden, die betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit der Partei zu stärken.
Wie weiter?
Die Idee, ein diverses Spitzenteam könnte in dieser tiefergreifenden Krise die Partei einen, hat die inhaltlichen und strategischen Fragen zuweilen überdeckt. Wir werden uns für die kommenden Wahlkämpfe sehr genau fragen müssen, wen wir eigentlich mit welchen Themen ansprechen wollen. Ein Sowohl-als-auch gibt es in einer Zeit der Desorientierung nicht. Für den entscheidenden Bundestagswahlkampf sind also Lehren aus diesem Europawahlkampf zu ziehen. Wir brauchen einen inhaltlichen Fokus und einen strategischen Kompass für die kommenden Monate. Diese Diskussion müssen wir offen und ehrlich führen und hier auch zu Entscheidungen kommen.
Und auch bereits für die Landtagswahlen ist deutlich geworden, dass die Partei von den Menschen an der Basis lebt, dass sie weiter kämpfen, engagiert sind und der Krise trotzen. Aber diese Basis braucht die bestmögliche Unterstützung für ihre Arbeit, sie braucht eine Orientierung. Ich möchte gern mit allem, was wir in diesem Wahlkampf gelernt haben, dazu beitragen, das Bestmögliche aus dem zu holen, was bereits in dieser Partei steckt. Denn kommunal hat sie dort, wo sie noch verankert ist, deutlich besser abgeschnitten als im Bundesdurchschnitt. Hier lohnt es sich genauer hinzusehen, was an welchen Orten funktioniert hat und zu übertragen ist. Wir haben dafür nicht viel Zeit, aber es wird sich lohnen.
Ich bin überzeugt davon, dass mein Team und ich auch mit wenigen Mitteln in unserem Wahlkampf einige Impulse in der Partei setzen konnten: gemeinsam anzupacken, das Mandatsgehalt zu beschränken, nicht zuletzt mit der Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft »Die Linke hilft« eine neue Form der Politik zu begründen, die längst in unserer Partei Praxis ist, aber nicht den Stellenwert bekommt, den sie verdient.
Diese Arbeit wird selbstverständlich weitergehen, denn sie setzt auf langfristiges Engagement und Glaubwürdigkeit, die man verspielt, wenn man nur in Wahlkämpfen präsent ist. Deswegen ist mir wichtig zu sagen, dass es weitergeht.
Für mich ist vollkommen klar, dass ich auch im Landtagswahlkampf in Sachsen, Brandenburg und Thüringen unterstützen werde. Der gemeinsame Kampf um die Partei endet nicht mit einem verpassten Mandat. Vielmehr müssen wir uns auf einen Marathon einstellen, den die Erneuerung der Partei bedeutet. Demütig, aber mit geradem Rücken gehen wir voran.