Der Fall Meyer Burger zeigt die Planlosigkeit der europäischen Industriepolitik
Wir wissen seit Jahrzehnten, dass wir die erneuerbaren Energien massiv ausbauen müssen. Doch ausgerechnet bei einer der Schlüsseltechnologien dafür geht die Entwicklung in Europa gerade in die falsche Richtung, denn die Solarindustrie droht abzuwandern. Dass dahinter politische Fehlentscheidungen liegen, zeigt das Beispiel des Solarherstellers Meyer Burger.
In Thalheim bei Bitterfeld-Wolfen wollte Meyer Burger eigentlich sein Werk erweitern. In dem Werk sollten Hochleistungs-Solarzellen der neuesten Generation produziert werden. Es ist eines der wenigen verbliebenen Solarzellen-Werke in der EU. Doch nun ist das Werk von der Schließung bedroht, ebenso wie das Solarmodulwerk von Meyer Burger in Freiberg in Sachsen.
Die EU wollte die Erweiterung des Werks in Thalheim eigentlich mit 200 Millionen Euro fördern. Nun hat Meyer Burger beschlossen, stattdessen ein Werk in Colorado Springs in den USA zu bauen. Die bereits bestellten Produktionsmaschinen, die eigentlich in Thalheim installiert werden sollten, werden nun in die USA umgeleitet, damit das Werk in Colorado bereits 2024 öffnen kann. Meyer Burger hat außerdem angekündigt, dass das Solarmodulwerk in Freiberg in Sachsen geschlossen werden soll, 500 Arbeitsplätze gehen hier verloren. Dort werden die einzelnen Solarzellen zu Modulen zusammengebaut.
Als Grund für die Entscheidung nennt Meyer Burger explizit den Inflation Reduction Act, also das Klima- und Infrastrukturpaket von US-Präsident Biden. Hierdurch wird das Werk in Colorado mit bis zu 1,4 Milliarden US-Dollar gefördert. Das ist umgerechnet mehr als das Sechsfache der EU-Fördersumme.
Wie europäische Industriepolitik eigentlich gehen sollte
In Colorado Springs entstehen jetzt 350 qualifizierte Arbeitsplätze in der Produktion in einer Zukunftsbranche, die in Sachsen-Anhalt fehlen werden. Meyer Burger hat außerdem angekündigt, dass das Werk in Thalheim ebenfalls ganz geschlossen werden könnte, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht verbessern.
Dieser Fall zeigt, dass die EU und die Bundesregierung in der Industrie- und Handelspolitik einen völlig falschen Ansatz verfolgen. Wir benötigen jetzt sofortige Maßnahmen, um die Zukunft der Solarproduktion in Europa zu sichern.
Und die Europäische Union braucht eine langfristige, nachhaltige Industriepolitik, die den Herausforderungen des neuen globalen Umfelds gewachsen ist:
- Es braucht einen Resilienzbonus für Solarkomponenten aus europäischer Produktion bei Ausschreibungen von Solarprojekten im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetz. Entsprechende Pläne der Bundesregierung und der EU-Kommission im Rahmen des Netto-Null-Industriegesetz gehen in die richtige Richtung. Allerdings muss die Umsetzung auf Bundesebene schnell erfolgen, damit die deutsche und europäische Solarproduktion die nächsten Monate überlebt. Die FDP muss ihre Blockadehaltung in dieser Frage aufgeben.
- Die Solarindustrie muss in die Liste der strategischen Förderprojekte der Europäischen Kommission (IPCEIs) aufgenommen werden, für die veränderte beihilferechtliche Vorgaben gelten. Bereits heute gibt es entsprechende Programme für die Bereiche Mikroelektronik, Batteriezellen, Cloud Computing und Wasserstoffwirtschaft. Aber auch die Solarindustrie ist eine Schlüsselbranche für den Umbau der Wirtschaft! Europa muss seine Industriekapazitäten in diesem Bereich erhalten und ausbauen und muss bei der technischen Innovation bei Solarzellen auch in Zukunft mithalten. Die Linke fordert analoge Programme auch für die Solar- und Windindustrie, den öffentlichen Nahverkehr und die Schieneninfrastruktur.
- Auch in der europäischen Handelspolitik muss sich etwas ändern. Wir haben erlebt, wie fragil globale Lieferketten während der Pandemie waren. Die Energieversorgung von morgen darf davon nicht bedroht werden. Europa soll sich nicht abschotten. Aber es müssen Anreize für regionale Wertschöpfungsketten und faire Handelspraktiken statt Dumpingpreisen geschaffen werden. Ein robustes Lieferkettengesetz, dass Menschenrechte und Umweltstandards schützt, kann dazu beitragen. Ein fertig ausverhandelter Entwurf lag dem Europäischen Parlament bereits vor. Doch FDP und Grüne haben das Vorhaben jetzt platzen lassen. Das ist extrem kurzsichtig.
- Anteile an Unternehmen wie Meyer Burger, die für den Umbau der Wirtschaft strategisch wichtig sind, sollten durch eine Europäische Industriestiftung aufgekauft werden, um langfristige Investitions- und Beschäftigungssicherheit und eine Beteiligung der öffentlichen Hand zu gewährleisten. Öffentliche Förderung muss nicht nur an soziale und ökologische Standards geknüpft werden, sie sollte auch zu öffentlichem Eigentum führen.
Europa braucht eine eigene Solarindustrie. Wir dürfen jetzt nicht untätig zusehen, wie sie verschwindet.
Artikel wurde am 20. Nov. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://inesschwerdtner.de/blog/meyer-burger-zeigt-die-planlosigkeit-der-europaeischen-industriepolitik/.