Ich kandidiere.

Ich kandidiere.
Schnappschuss am Rande des Europa-Wahlkampfauftaktes in Halle (Saale) am 3. Mai diesen Jahres.

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich habe mich entschieden, auf dem kommenden Parteitag in Halle für den Vorsitz unserer Partei zu kandidieren. Diese Entscheidung habe ich nicht leichtfertig getroffen. Ausschlaggebend für meinen Entschluss war, dass viele Genossinnen und Genossen mich dazu ermutigt haben. Außerdem bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Linke wieder erfolgreich sein kann, wenn wir das gemeinsam anpacken.

Zunächst möchte ich Janine und Martin für ihre Arbeit und ihre Standhaftigkeit in den letzten Jahren danken. Sie mussten die Partei durch ihre größte Krise und eine Abspaltung führen. Dafür gebührt ihnen unser aller Respekt. Im Europawahlkampf habe ich vertrauensvoll mit beiden um eine starke Linke in Brüssel gekämpft, insbesondere mit Martin als unserem Spitzenkandidaten und erfahrenen Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament. Mit Janine teile ich die Überzeugung, dass es wichtiger ist, morgens am Streikposten zu stehen als im Frühstücksfernsehen – wobei sie die Partei als Vorsitzende in beiden Situationen immer hervorragend vertreten hat. Es ist vollkommen klar, dass beide weiterhin wichtige Stützen der Partei bleiben müssen.

Wir alle wissen um den Ernst der Lage. Deshalb gehe ich mit großem Respekt vor dieser Aufgabe in diese Kandidatur. Was mich optimistisch stimmt: Ich habe im Wahlkampf viele unserer Stadt- und Kreisverbände besucht und viele intensive Gespräche über den Zustand der Partei mit Menschen geführt, denen sie am Herzen liegt. Ich weiß, in dieser Partei steckt eine unglaubliche Kraft. Wir müssen sie nur wieder zu nutzen wissen.

Sollten wir im kommenden Jahr aus dem Bundestag ausscheiden, gäbe es dort keine linke Kraft mehr. Es gäbe dort keine Kraft mehr, die nicht nur um die Verwaltung des Elends namens Kapitalismus wetteifert, sondern eine Alternative dazu bietet und sich als sozialistische Partei bedingungslos tagtäglich für die Interessen der Menschen einsetzt.

Denn das ist es, was viele Menschen an unserer Partei schätzen und was sie auch von uns erwarten: Denen eine Stimme zu geben, die in der „großen Politik“ kaum Gehör finden, Mut zu machen, sich nicht unterkriegen zu lassen und glaubhaft und mit Zuversicht auszustrahlen, dass der Schlüssel und die Kraft zu einem besseren Leben in der Solidarität liegt.

Wir tun dies am effektivsten, indem wir an konkrete Alltagssorgen anknüpfen, unbürokratisch Hilfe leisten und die Anliegen mit einer Perspektive über den Kapitalismus hinaus verknüpfen. Darin ist die Linke einzigartig. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Partei wieder an vergangene Erfolge anknüpfen, politischen Gegendruck aufbauen und das Land zum Besseren verändern können, wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen.

Das Erfurter Programm bietet hierfür eine gute Grundlage. Es hat den Test einer sich rapide wandelnden Welt außerordentlich gut bestanden. Wir sollten und müssen es trotzdem behutsam weiterentwickeln und daraus Forderungen für Kampagnen ableiten, mit denen wir die etablierte Politik wieder stärker herausfordern können. Auch hieran müssen wir in den nächsten Monaten und Jahren intensiv arbeiten.

Aufgabe der neuen Parteivorsitzenden wird es sein, diesen Prozess anzuleiten. Ich bin davon überzeugt, dass es dafür notwendig ist, eine neue politische Kultur in unserer Partei zu etablieren. Die Kräfte, mit denen eine konstruktive Zusammenarbeit nicht möglich war, haben uns zum Großteil verlassen. Wir haben nun die Gelegenheit, über alle Lager und Differenzen hinweg einen Umgang zu etablieren, der von gegenseitigem Vertrauen und einem Fokus auf die gemeinsamen politischen Ziele geprägt ist. Darauf werde ich einen Schwerpunkt legen, sollte ich gewählt werden. Unsere Partei wird auch dann wieder stark werden, wenn wir die besten Ideen sammeln, wenn wir eine Prise Kreativität mit entschlossenem Handeln verbinden. Deshalb brauchen wir auch inhaltliche Debatten nicht zu scheuen. Sie machen uns besser, sie machen uns attraktiver und sie machen uns vor allem klüger, um die Herausforderungen, denen sich das Land gegenübersieht, mit Tatkraft anzupacken.

Ich bitte an dieser Stelle um euer Vertrauen und um eure Stimme beim Parteitag. Mir ist bewusst, dass ich in unserer Partei keine klassische Karriere durchlaufen habe und ich gehe diesen Schritt mit enormer Demut vor den Leistungen der Partei in der Vergangenheit und Gegenwart – insbesondere der Basis und der ehrenamtlichen Aktiven. Die Aufgaben, die vor uns liegen, erfordern das Mitwirken der ganzen Mitgliedschaft und jedes Einzelnen von uns. Unabhängig davon, wen der Parteitag mit der Aufgabe des Parteivorsitzes betraut, will ich meinen Beitrag dazu leisten, wo immer ich gebraucht werde.

Eure Ines