Eine Linke für alle

In der Linken und auch sonst streiten wir viel über Milieus und ob man es schaffen kann, mit allen ins Gespräch zu kommen oder sich lieber auf eines konzentrieren sollte. Ich glaube, dass es für eine sozialistische Partei nicht der Anspruch sein kann, sich künstlich auf ein Milieu zu verkleinern. Denn wir sprechen die breite Mehrheit der Gesellschaft mit unserem Anliegen nach einer anderen Gesellschaft an.
 
 In der letzten Woche habe ich in der Wahlarena des MDR über Agrarpolitik diskutiert und für die Rechte von Verbraucherinnen und Landwirten gleichermaßen gestritten; ich saß in der Altmark auf einem Trekker und habe mir vor Ort die Sorgen eines Genossenschafters über die Dürren in der Region angehört. In Stendal haben wir ein mittelständisches Unternehmen besucht und über Fachkräftemangel geredet, danach waren wir mit einem Infostand beim Christopher Street Day (CSD).

Zu Gast beim CSD in Dessau

Ich habe bei der Bundesstiftung Gleichstellung für legale Schwangerschaftsabbrüche in der ganzen EU und höhere Löhne für Frauen mit den Kandidieren der anderen Parteien gerungen, gleichermaßen gehört es sich als Feministin beim CSD in Dessau, allen Opfern von Gewalt Solidarität auszusprechen.

Ich kann  im Anschluss in Dessau beim Hugo-Junkers-Fest am Flugplatz jedem und jeder die Hand geben, eine Bratwurst essen und Oldtimer bewundern. Hier wissen alle, dass ein Genosse aus dem Stadtrat jedes Jahr dafür verantwortlich ist, dass das Familienfest stattfinden kann. „Wenn man sowas hat, braucht man nichtmal Ideologie“, sagt er dazu.

Sollte auch nicht unter die Räder kommen: Unser Anspruch, Politik für die Breite der Bevölkerung zu machen.

Es scheinen verschiedene Welten zu sein, in denen man sich im Wahlkampf binnen kürzester Zeit aufhält. Ich habe als Kandidatin das Privileg, in diese Welten einzutauchen und verschiedenste Menschen und Anliegen kennenzulernen. Dabei ist mir klar geworden, dass wir in den letzen Jahren sehr viele abstrakte Debatten darüber geführt haben, wen die Linke ansprechen soll, sei es unter dem Label „verbindende Klassenpolitik“ oder der unrühmlichen Debatte zu Klassen- und Idenititätspolitik. Darin habe ich mich auch oft genug versteift und immer wieder gedacht, es würde sich nur in der Praxis auflösen lassen. Mittlerweile habe ich selbst stärker diese Praxis und muss anerkennen, dass viele Debatten zur Parteistrategie sich weit vom Leben gelöst haben.

Natürlich braucht es einen strategischen Fokus, wir können nicht überall gleichzeitig sein. Für mich ist das nachwievor die Welt der Arbeit, die wir gegen das Kapital stärken müssen.

Eine linke und sozialistische Kraft muss sich außerdem um die zentralen strategischen Fragen der Zeit kümmern und auf sie Antworten finden – sei es die Transformation der Wirtschaft im Zuge der Klimakatastrophe oder Krisen und Kriege allgemein. Doch auch diese abstrakt richtigen Antworten müssen im Leben verankert sein, und dafür ist die Präsenz der Partei vor Ort entscheidend.

Insbesondere in der Kommunalpolitik sind es die Anliegen ganz verschiedener Milieus, die die Arbeit der Linken ausmacht. Aus diesen alltäglichen Sorgen zieht sich das Material unserer Politik. 

Eine der wichtigsten Leistungen unsererseits ist es also, die großen Fragen der Weltpolitik mit den alltäglichen Sorgen zu verbinden, offen und gesprächsbereit zu sein, und unsere Überzeugungen mit der wirklichen Welt zusammenbringen. Sonst bleiben unsere Forderungen den Menschen äußerlich. 

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Wer sich bei dieser Übersetzungsleistung strategisch nur auf ein Milieu beschränkt, verkleinert sich unnötig selbst. Wir können aus taktischen Gründen beim Frauenrat anders sprechen als beim Bauernverband, aber wir sollten mit beiden sprechen können und auch beiden etwas stichhaltiges zu sagen haben. Wir sind in der Bringschuld, weitere Kreise der Gesellschaft von unseren Anliegen und Forderungen, die wir für die richtigen halten, zu überzeugen. Es ist auch unsere Aufgabe, unter anderem mit Festen dafür zu sorgen, dass wir breite Teile der Gesellschaft erreichen ohne das ein Politik-Studium notwendig wäre. Dafür ist die Verbindung zu Vereinen und wichtigen Ansprechpartnern vor Ort unabdinglich.

Sowohl im vorpolitischen wie im politischen Raum präsent zu sein, bedeutet, tatsächlich hegemonial sein zu wollen.

Sich auf ein abstraktes Milieu zu beziehen, sei es nur aus wahltaktischen Gründen, wird sich mittelfristig in eine Selbstverzwergung verwandeln, die dem Anspruch einer sozialistischen Partei nicht gerecht werden kann.