Bundestags-Nachwahl in Berlin: Was wir daraus lernen können
Man konnte es den Wählerinnen und Wählern kaum verübeln: dass man noch ein zweites Mal diese Berlin-Wahl wiederholt – dieses Mal die Bundestagswahl – war kaum jemandem zu erklären. Dennoch sind immerhin die Hälfte der 550.000 Wahlberechtigten zur Urne gegangen. Genug, damit es kein absolutes Fiasko ist, zu wenig, um wirklich etwas zu verändern.
Für Die Linke geht der Wahlabend mit gemischten Gefühlen zu Ende. Zwar konnte die Partei im Verhältnis zur Wahl 2021 um 0,7 Prozent zulegen, doch der Berliner Abgeordnete Pascal Meiser verliert sein Mandat, das aufgrund der geringen Wahlbeteiligung nun nach Hessen geht. Die Bundestagsgruppe verliert einen Gewerkschafter. Dafür konnte Gesine Lötzsch im Wahlbezirk Lichtenberg ihr Direktmandat wieder deutlicher verteidigen und die Partei bei den Zweistimmen wieder zur stärksten Kraft werden. Die Arbeit der Genossinnen und Genossen vor Ort, sei es durch die Rote Tafel oder beim morgendlichen Verteilen der info links, hat sich offenbar gelohnt.
Insgesamt ist die Wahl insbesondere eine Abwahl der SPD, die in manchen Bezirken eine Halbierung der Ergebnisse hinnehmen muss, während die AfD und CDU stark hinzugewinnen. Die FDP schrumpft zur Kleinstpartei, nur die Grünen können aus der Ampelregierung ihre Ergebnisse halten.
AfD-Hoch trotz Massenprotesten?
Manch eine mag aufgrund der hohen AfD-Ergebnisse verwundert sein: Sind nicht gerade hunderttausende auf den Straßen gegen den Rechtsruck? Ja, doch die Ergebnisse dieser Wahl liegen tiefer als die letzten Wochen, weil der Vergleich zu 2021 zählt. Dass die AfD ihre Ergebnisse teilweise verdoppeln konnte, liegt an einer Unzufriedenheit mit den regierenden Parteien während der letzten größeren Krisen einerseits, einer tieferliegenden Frustration mit dem politischen System im Ganzen andererseits.
Ein Besuch in Nord-Marzahn
Das wurde sehr deutlich als wir etwa in Marzahn-Hellersdorf Haustürwahlkampf gemacht haben, zwei Tage vor der Wahl. Motiviert klopften wir zu acht und in Zwei-Teams aufgeteilt an die Türen der größten Plattenbausiedlung Europas. Einmal linke Hochburg und Petra Pau als Direktkandidatin. Wenige Menschen öffnen die Tür und diejenigen, die es tun, öffnen sie nur einen Spalt. Besuche sind eher eine Bedrohung. Hören sie von der Bundestagswahl oder Parteien, winken die meisten sofort ab. Es ist nicht so sehr die Linke, die sie stört, es sind Parteien im Allgemeinen. Deswegen ist die Nichtwählerquote hier besonders hoch.
„Sie sind aber mutig“, sagt eine Frau, und rät uns besser nicht mehr zu fragen, was sie denn wählen würden. Nur wenige nehmen das Material an. Wir wechseln die Strategie und stellen uns mit gepackten Tüten vor ein Center. Die Tüten gehen besser weg, im Vorbeigehen entkommt man der Situation schneller als an der eigenen Haustür. Über 40 Prozent der Menschen in der Siedlung leben im Leistungsbezug, weitere 20 Prozent müssen ihren Lohn aufstocken. Rund jeder Zweite lebt hier in relativer Armut. Das Center ist bis auf den Supermarkt und den Blumenladen verfallen. Wer hier lebt, kommt nicht zum Shoppen.
An dieser Situation ändert sich nichts zwei Tage vor der Wahl, auch wenn viele junge Genossen an dem Tag ihr Bestes geben. Es braucht eine langfristige Strategie, einen Weg, um überhaupt wieder in Kontakt mit den Menschen zu kommen, die von der Politik – zurecht – nicht mehr viel wissen wollen oder nichts erwarten können. Für uns als Sozialistinnen und Sozialisten ist es ein besonderer Auftrag, sie nicht bloß als Wähler zurückzugewinnen, sondern überhaupt mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es ist, als müsste man sich die Routine, nach der man Die Linke als soziale Stimme gewählt hat, beidseitig erst wieder angewöhnen.
Kurz und schmerzhaft
Der Wahlkampf in Berlin war kurz und schmerzhaft. Es war klar, dass nicht viel zu gewinnen ist. Und trotzdem ist es wichtig, die Zeit der höheren politischen Aufmerksamkeit und vor allem auch die hunderten Neumitglieder dafür zu nutzen, um die Anliegen der Bevölkerung – eine bessere Gesundheitsversorgung, bezahlbare Mieten, Frieden – politisch auszudrücken oder mit den Menschen in Kontakt zu kommen und sichtbar zu sein. Das sollte dauerhaft so sein, wie das Beispiel in Lichtenberg zeigt, wo die Linke durchweg präsent ist, oder Neukölln, wo eine rege Basisarbeit ebenfalls ihre Früchte trägt. Keine noch so gute Kampagne oder ein sehr guter Spruch in der letzten Phase des Wahlkampfs ersetzt diese Arbeit.