Bündnis Wagenknecht – Was wird aus der Linken?
Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Wir alle haben den Parteiaustritt und die damit verbundene Vereinsvorstellung von Sahra Wagenknecht mitbekommen. Natürlich gibt es da kaum ein LINKEN-Mitglied, das sich nicht fragt, wie es nun weitergeht – mich eingeschlossen. Schließlich nehmen die, die sich abgespalten haben, eine historische Schwächung der politischen Linken in Kauf. Ausgerechnet jetzt, da sie so dringend gebraucht wird.
Vieles an diesem neuen, angestrebten Parteienprojekt ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Es gibt kein politisches Programm, das Personal muss sich ebenfalls noch finden und selbst die Umfrageinstitute sind sich uneins, ob BSW künftig eine Rolle spielen wird oder nicht. Manche sagen sogar, dass andere Parteien mehr zu fürchten hätten als wir.
Wahr ist auch, dass bisher kein einziger ostdeutscher Abgeordneter zu BSW übergelaufen ist. Doch wie sieht es an der Basis aus? Diese Frage ist ja mindestens genau so wichtig. Schließlich sind es die Basisgenossinnen und -genossen, die in den Kommunalparlamenten die Arbeit wegtragen, im Wahlkampf die Plakate hängen und vor Ort ihren Kopf hinhalten. Auf meiner Osttour habe ich schon einige von ihnen getroffen, viel zugehört und von ihnen gelernt.
Das Material, aus dem wir Politik machen
In dieser Woche war ich zum Beispiel in Halle, wo wir für eine Petition Unterschriften gesammelt haben, um die Mieten der kommunalen Wohnungsunternehmen zu deckeln. An einem Infostand in Halle-Trotha und bei Haustürgesprächen in Halle-Neustadt konnte ich also einen Eindruck davon gewinnen, dass viele müde sind vom andauernden Streit. In Halle haben wir außerdem den Linken Laden besucht, der Sozialsprechstunden und freitags eine Küche für alle anbietet. Es sind diese Räume, die dringend gebraucht werden und für die es eine funktionierende Partei braucht. Hier zeigte sich auch, wie wichtig es ist, dass die Mitglieder des Stadtrats tief ins städtische Leben eingebunden sind, in Vereinen und Netzwerken. Was wären wir ohne diese Arbeit?
Es ist genau diese Arbeit vor Ort, die eine neue Partei nur schwer umsetzen kann, weil sie auf jahrelangem, teils jahrzehntelangem Engagement beruht. Ich denke, dass Sahra Wagenknecht zwar sehr viele Lesungen überall in Deutschland gehalten, aber vermutlich schon sehr lange nicht mehr vor Lidl gestanden und mit Passanten gesprochen hat. Ich finde es wichtig, nicht bloß Wahrheiten zu verkünden, sondern in erster Linie einmal zuzuhören, worüber sich die Menschen ärgern; seien es hohe Preise, die kaputte Heizung, ihre Angst vor dem Krieg. Das ist das Material aus dem wir Politik machen – im Stadtrat oder im Europaparlament.
Nichts ersetzt die lokale Verankerung
Auf dem Weg nach Thüringen, wo ich vergangenen Dienstag mit Genossinnen und Genossen in Nordhausen und Sonneberg verabredet war, um über die Wahl der Landräte zu sprechen, flatterte eine Einladung vom TV-Sender Phoenix zur Wagenknecht-Partei ins Haus. Ich sagte: Nur wenn Sie mich aus Thüringen zuschalten können, ich bin auf meiner Ost-Tour. So kam es, dass ich in einem beschaulichen Hotel im Harz dann in die Phoenix-Runde zugeschaltet wurde, was sehr schön gleich den Widerspruch deutlich machte: Sich für den Osten einzusetzen, bedeutet eben vor Ort zu sein, und zu verstehen, wie tief der Frust mit dem parlamentarischen System liegt, den keine Hoffnungsträgerin in Kürze beheben kann.
In der Sendung wurde ich dann gefragt, ob die Linke denn nun verloren sei, weil wir ja nur aus Lifestyle-Linken bestehen und uns um die Großstädte kümmern. Nun, richtig ist, dass sich die Linke erneuern und neu aufstellen muss, um ältere Stammwähler und das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Aber ich glaube, dass Wohnen und Essen keine Lifestyle-Themen sind und dass der Fokus auf die konkreten Probleme des Lebens, auf die unsoziale Kürzungspolitik der Ampelregierung und den drohenden Rechtsruck das ist, was uns beschäftigt.
Ich sage das ohne Groll und Häme, aber ich habe Sahra Wagenknecht bei den Streiks der letzten Monate bei der Bahn, im öffentlichen Dienst, bei Lehrkräften oder im Handel nicht gesehen, genauso wenig bei Protesten von Armutsbetroffenen.
Der kurze Weg über die Popularität ist der einfache – und womöglich hat er auch kurzfristigen Erfolg. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass wir es mit einem tiefer liegenden Vertrauensverlust in die Demokratie zu tun haben und dass die tägliche Kärrnerarbeit nicht ersetzt werden kann.
Mehr Ludwig Erhard als Karl Marx
Ich wurde auch gefragt, ob für die Linke nun noch genug Antikapitalismus drin sei, nun da sie eine Konkurrentin hat. Aus ihren Büchern entnehme ich, dass Sahra mittlerweile näher an Ludwig Erhard als an Karl Marx ist. Und so sehr ich auch für eine aktive Industriepolitik eintrete – es macht einen Unterschied, ob man sie vom Standpunkt der Beschäftigten aus vertritt oder vom Standpunkt der Unternehmen selbst. In unserer Partei wird das dadurch unterstrichen, dass wir keine Spenden von Unternehmen annehmen. Es bedeutet nämlich, unbestechlich zu sein und sich bedingungslos für die Menschen einsetzen zu können, die aufgrund der Veränderungen der Arbeit und der Industrie Angst um ihren Arbeitsplatz haben.
Das alles habe ich versucht in der Sendung unterzubringen. Natürlich bleibt vieles ungesagt; und vieles wird sich auch in den kommenden Wochen erst herausstellen. Klar ist nur, dass sehr turbulente Zeiten anbrechen, in denen es besonders wichtig ist, standhaft zu bleiben. In diesem Sinne gilt es, um jedes Mitglied zu kämpfen, alle neu dazugekommen zu begrüßen und ihnen einen Platz und eine Aufgabe in dieser Partei zu geben. Denn wir brauchen jede und jeden von euch.
PS: Ich bereue meinen Eintritt in DIE LINKE und die Europakandidatur kein bisschen. Im Gegenteil: Für mich bleibt klar, dass genau jetzt der Zeitpunkt ist, für DIE LINKE zu kämpfen. ✊